schichten. schicht um schicht. spuren einer veränderung
yvonne haeberli – neue bilder in der paulus-akademie, zürich
ansprache von michael guggenheimer anlässlich der ausstellungseröffnung
1 ohne titel, mischtechnik
2 ohne titel, mischtechnik
3 ohne titel, acryl
13 ohne titel, mischtechnik auf holz
15 ohne titel, acryl auf karton
22 ohne titel, mischtechnik auf holz
25 ohne titel, mischtechnik auf holz
zum zweiten mal stellt yvonne haeberli in den räumen der paulusakademie aus. 2005 waren zum letzten mal bilder von ihr hier zu sehen, vor einem jahr hat sie in der galerie jeanette catrina in stäfa bilder gezeigt. vor fünf jahren hat sie mit einer malerkollegin in birmensdorf bilder ausgestellt. grosse formate sind es hier diesmal, andere bildthemen und eine neue technik. wer ihrem bilderweg folgt, stellt veränderung fest, experimentierfreude und neue blickrichtungen insbesondere seit der letzten ausstellung, die so lange nicht her ist. hier und heute befinden sich gewiss besucherinnen und besucher, die die bilder früherer ausstellungen wohl in erinnerung haben.
wie ergeht es wohl der künstlerin, die sich plötzlich umringt sieht von freunden, bekannten, kunstfreunden, freunden der paulusakademie, von menschen, die sie kennt und von solchen, die ihr nicht bekannt sind. wie es wohl ist, sich über bilder zu zeigen. ich stelle mir vor, dass eine jede künstlerin, ein jeder künstler, sich unsicher fühlen muss bei einer ausstellungseröffnung, zumal da noch einer vorne steht und spricht, etwas sagt, das man noch nicht kennt, wo man nicht weiss, wie er und die anderen den eigenen bildern begegnen werden.
künstler, ob sie nun schreiben oder malen, gewähren uns einen einblick in ihr innenleben. bei autoren versucht man häufig einen zusammenhang zwischen biografie und erzählmaterial herzustellen. hat ein schriftsteller einen roman über einen alzheimerpatienten geschrieben, dann ist sicher sein vater oder seine mutter an alzheimer erkrankt. kommen in einem roman beziehungskonflikte vor, wird die autorin schnell mit der vermutung konfrontiert, sie erzähle aus ihrem eigenen leben, wenn auch in variationen. so sind nun mal häufig die vermutungen von uns lesenden.
bei malern konnte man das lange zeit auch als spiel betreiben. so lange sie konkret malten, so lange einer konkret malt. wenn paul klee oder gerhard macke nordafrikanische impressionen festhielten, dann hatten sie gewiss licht- und farbimpressionen im maghreb erlebt, waren sie dort gewesen. wenn gauguins südseefrauen uns anblicken, dann meinen wir zu wissen, welche mögliche beziehungen der maler zu den porträtierten hatte. wenn edvard munchs figuren uns schmerzverzerrt anblicken, dann meinen wir einen blick in die innere welt des malers werfen zu können, ahnen dunkles, schweres, depressives.
künstler, ob sie nun malen oder schreiben, folgen beim schreiben nicht nur den gesetzen des erzählens oder den gegebenheiten des materials, mit dem sie formend umgehen. themen und stimmungen von malenden konnten, können auf biografie, auf lebensphasen und begebenheiten, auf lebensumstände der künstler hinweisen. wie aber verhält es sich bei abstrakten bildern? was sagen bilder von kandinsky über sein alltagsleben, über seine biografie aus? und was sagen bilder von yvonne haeberli über ihren alltag, über ihre biografie, über die fragen, die sie beschäftigen, die sich ihr stellen, aus?
man schaut sich ihre bilder an, man geht von bild zu bild in dieser ausstellung, lässt die farben und die formen auf sich einwirken. erdnahes braun, klares wasserblau und nachtbläue, starkes rotbraun, kräftige farben, hellgelbe streifen in einem horizont, vielleicht eine spiegelung im wasser, ein wetterleuchten in orange, braune schichtungen in wellenform, eindeutige kraft, die uns hier begegnet, nirgendwo eine bedrückte stimmung.
was zunächst auffällt: yvonne haeberli lässt uns freiheiten, sie bestimmt unsere interpretation nicht. das ist eine wohltat: kein bild trägt einen titel. weder „morgenstimmung“ noch „landschaft mit bäumen“. weder „impression 1“ noch „am nil“. das gibt uns freiheiten, das lädt ein, uns ins bild zu begeben, lädt uns ein zu eigenen interpretationen, zu eigenen deutungsversuchen, weil hier keine abbildungen vorliegen, weil wir den ursprung einer bildidee nicht kennen, erlaubt uns die malerin, unsere stimmungen mit dem bild in einklang zu bringen, unsere stimmung gewissermassen in jedes einzelne bild hineinzutragen. wir als betrachtende sind frei, unsere vorstellungen spielen zu lassen. die unmittelbare wiedergabe von gesehenem ist nicht das ziel von yvonne haeberli. sie verfolgt einen abstraktionsweg, den jeder betrachter auf seine weise auslegen kann. «erklären» kann man die hier gezeigten bilder nicht, man muss es nicht, jeder betrachter nimmt sie mit der ihm je eigenen empfindung selber auf, kann titel setzen, kann entdecken.
yvonne haeberlis bilder der letzten anderthalb jahre, die sie uns in ihrer dritten einzelausstellung in der region zürich zeigt, sind aber vom stil her, in der farbgebung, so eindeutig, dass uns bei einem rundgang durch die ausstellung in der paulusakademie wie von selbst klar wird, dass die bilder in grün hinten im kleinen saal einer anderen, ganz gewiss einer früheren periode angehören. schön, dass einige frühere «gäste» auch dabei sind, denn so erkennen wir spuren eines wegs.
ich stehe vor yvonne haeberlis unbetitelten bildern und mir fällt ein museumsbesuch ein. es ist die museumsinsel hombroich bei neuss in deutschland, wo der sammler so weit gegangen ist, dass kein werk den namen des jeweiligen künstlers trägt, keine titelangaben zu lesen sind. wir zuschauer, wir besucher der museumsinsel, sind frei, uns vor-urteilslos einzustimmen, offen zu sein, zu erleben, ob wir das jeweilige werk mögen oder nicht. nicht anders geht die malerin yvonne haeberli mit uns um, sie erlaubt uns einen offenen blick auf ihre formen und farben zu richten, sie lenkt uns nicht, sie bietet uns projektionsflächen an, sie lässt zu, dass wir uns emotional öffnen oder wegwenden. weil ich neugierig genug war, um yvonne haeberli nach stationen ihres lebens auszufragen, stellt sich eine interpretation ein: die psychotherapeutin von damals lässt uns nochmals fühlen, vor den bildern sprechen.
was sehen wir, wenn wir uns in der ausstellung von yvonne haeberli bildern hier in der paulus akademie bewegen? zunächst fallen schichten auf, schichtungen. schicht um schicht. wir nähern uns den bildern und sehen, dass da jemand nicht hur mit farben gearbeitet hat, nicht nur mit pinseln. in unterschiedlichem grad körnig sind manche dieser bilder. und die züge, mit denen farben gezogen wurden, deuten auf eine arbeit mit dem spachtel hin. wir sehen erdige farben, wir sehen leuchtende farben, starke farben. wir sehen grossformatige bilder und an den „ausläufern“ dieser ausstellung kleine formate, nicht minder stark in ihrer ausstrahlung.
was auch noch auffällt: in den halbrunden nischen aus sichtbeton, die dem raum eine schwere aufdrücken, hat die künstlerin grosse, starke farbimpressionen hingestellt, die wärme ausstrahlen. wir erleben, dass hier jemand mit bedacht und sparsam bilder hingehängt hat. yvonne haeberli hätte mehr bilder bringen können. wie andere malende auch, verfügt sie über ein bilderlager, aus dem sie noch dieses und jenes werk hätte herausholen und hierher bringen können, um uns mit quantität zu beeindrucken.
ohne auf ihren werdegang als malerin noch einzugehen, ist jetzt eine auslegeordnung hergestellt. eine person, die uns nicht mit eindrücken erdrücken will, stellt hier aus. eine malerin, die uns einen einblick in eine phase ihres künstlerischen wirkens gewährt. eine künstlerin, die uns eine suchbewegung zeigt, in der sie ganz offensichtlich mit ganz besonderen materialien arbeitet. und eine kunstschaffende, die uns freiheiten der interpretation gibt.
man nähert sich den bildern von yvonne haeberli und muss ihr fragen stellen, wenn man das körnige material sieht. und ohne dass man vom verwendeten material auf mögliche themen schliessen würde, erhält man einen einblick in das leben der malerin und lernt ihre experimentierfreudigkeit kennen. sand hat sie hier eingesetzt. sand aus namibia, sand aus ägypten, nicht einfach sand: wüstensand. seit anderthalb jahren arbeitet yvonne haeberli mit sand, den sie mit acrylfarben mischt. mit sand, graphitpulver und bitumen. sand bestimmt die materialität und formensprache einer ganzen anzahl von bildern der neuen werkphase von yvonne haeberli. was wir hier nicht sehen, sind die skizzen, die yvonne haeberli von ihren ausgedehnten reisen jeweils mitbringt, skizzen und zeichnungen mit tuschstift und ölkreide aus ägypten oder vietnam. yvonne haeberli, das soll gesagt sein, kann sich sehr figürlich, sehr konkret ausdrücken.
sand ist nicht sand. sand, wie ihn yvonne haeberli mitgebracht hat und in ihren bildern einsetzt, kann in seinen vielen varianten ganz fein bis grob sein, kann pinkfarben, ockergelb, hellgelb sein und dunkelgelb, es kann rötlich oder dunkelbraun sein in vielen variationen. während andere von ihren reisen souvenirs vom souk oder erworbenes vom duty free shop und fotos ohne ende auf der chipkarte nach hause mitbringen, bringt yvonne haeberli skizzen und kleine durchsichtige säcke mit in die schweiz, kleine säcke mit feinem sand, den sie selber geschöpft, gehoben, eingesammelt hat, säckchen mit kleinen steinbrocken aus der wüste, die gerieben zu sand zerfasern. manchmal kauft sie auch sand ein, wenn sie farbnuancen begegnet, die sie einsetzen will. sie mischt sand mit acryl, die beiden materialien binden sich und bilden eine paste, mit der sie arbeitet. mit dem spachtel trägt sie farben auf, formt sie, bildet bahnen und schichten auf der leinwand und überdeckt sie. innere bilder sind das, die uns hier präsentiert werden. stimmungen, impressionen, erinnerungen auch, irdene farben des südens, denen wir näher kommen können, ohne gleich mit konkreten bildern aus einer anderen region konfrontiert zu werden.
die malerin schafft in ihren bildern freiräume zum schauen, fühlen und denken. yvonne haeberli lebt uns mit dieser ausstellung ein prinzip vor, das viele von uns ebenfalls ergreifen müssten. yvonne haeberli nimmt sich das recht auf veränderung von ausstellung zu ausstellung, indem sie neue techniken ausprobiert und einsetzt, neue themen lebt. das recht auf veränderung lebt sie uns aber auch vor, wenn wir ihren werdegang anschauen. lehrerin zuerst und dann diagnostische psychologin, dann psychotherapeutin und später malerin. eine frau an der seite von sehr markanten partnern, sie nicht weniger markant als diese, die eigenen wege zu gehen wagt und weiss. eine frau, die eines tages beschliesst, zu einem zeitpunkt, da andere keine wagnis mehr eingehen, keinen beginn wagen, neue wege zu begehen. sie schreibt sich ein an einer renommierten kunstausbildungsstätte, unterbreitet im rahmen ihrer ausbildung ihre arbeiten fachpersonen. und siehe da, kaum hat sie ihre ausbildung aufgenommen, meldet sich bereits eine sammlerin, eine erste interessentin, die eine der allerersten arbeit käuflich zu erwerben versucht. das wunderbare an der kunst ist, dass sie ein bereich ist, den man irgendwann im leben auch noch betreten kann. klar, man muss arbeiten, hart arbeiten, kunst hat mit auseinandersetzung zu tun, mit auseinandersetzung mit sich und mit den verwendeten materialien, mit techniken auch, man muss sich hineinknien, man muss den eigenen stil suchen, etwas unverwechselbares erreichen. das hat yvonne haeberli zweifelsohne erreicht.
im grosszügigen wohnzimmer von yvonne haeberli und von willy spieler, ihrem lebenspartner, in dem yvonne haeberlis bilder vor kurzem auf den transport in die ausstellung warteten, hängt ein bild, das mich tief beeindruckte, an der ausstellung aber nicht zu sehen ist, ein bild, das einen einblick in aspekte ihrer biografie gewährt. es st ein triptychon, ein dreiteiliges, grossformatiges bild, eine art lebensbaum oder gar stammbaum, in dem namen aus verschiedenen kulturen vorkommen, die sich in yvonne haeberlis leben kreuzen, in ihrem leben eine prägende, manchmal auch schmerzende rolle spielen: namen aus lateinamerika mit spanischem klang und einem inka- und aztekenhintergrund, namen aus der igbokultur schwarzafrikas: angel und maria, amarchi, ifayin, john okobo, peter, ngozi, tlaloc und xolotl. kulturen und namen treffen hier aufeinander auf einem grossartigen bild, auf dem riesenkakteen, afrikanische baobabs, imposante affenbrotbäume zu sehen sind, sie gehören zum leben einer malerin, die intensive erfahrungen in lateinamerika gemacht, die sich malend mit ihrer familiären umgebung auseinandersetzt, die bis nach kolumbien und nigeria führt. diesen teil ihrer bildlich festgehaltenen biografie ist in dieser ausstellung nicht vertreten. wenn wir aber erfahren, dass die malerin eine langjährige und intensive beziehung zum tessin hat, dann lesen wir in bildern, die im kleinen kursraum zu sehen sind, brücken über die maggia, im verzascatal oder über andere tessiner flüsse und bäche, sehen felsstürze, meinen zu sehen, wie das wasser kraftvoll brausend unter brücken und in tiefen felsschluchten in einer archaischen natur sich seinen weg sucht.
yvonne haeberli, die malerin, sucht ihrer inneren bewegung ausdruck in formen und farben zu geben, lebt diese bewegung al künstlerin aus, schenkt uns schöne bilderwelten, auf die sie sich, meine damen und herren, nochmals begeben können.
1 ohne titel, mischtechnik
2 ohne titel, mischtechnik
3 ohne titel, acryl
13 ohne titel, mischtechnik auf holz
15 ohne titel, acryl auf karton
22 ohne titel, mischtechnik auf holz
25 ohne titel, mischtechnik auf holz
michael gugenheimer, zürich, 15. mai 2009