«monochrom»

fotoausstellung im bahnhof st.gallen/eröffnungsrede
von michael guggenheimer, zürich

dreissig jahre sind es her, seitdem der fotoklub an der klubschule st.gallen gegründet wurde: absolventen der foto- und fotolaborkurse wollten sich damals in freien zusammenkünften ausserhalb des unterrichts weiterbilden, wollten gemeinsam bildthemen festlegen, denen sie nachgehen könnten und eine plattform einrichten, um ergebnisse ihrer arbeit gemeinsam zu diskutieren und zu bewerten.

45 mitglieder zählt der fotoklub heute, drei sind seit anbeginn dabei, der klub zählt aber auch «veteranen», die seit zwanzig und mehr jahren mit von der partie sind. wer sich die arbeiten dieser fotografinnen und fotografen anschaut, entdeckt unschwer veränderungen, entwicklungen im schaffen jedes einzelnen dieser fotografierenden, die regelmässig zusammenkommen und im laufe der jahre zahlreiche einzelausstellungen und gruppenausstellungen veranstaltet haben.

in der galerie im oberen stockwerk, wo zahlreiche weitere arbeiten dieser fotografen aus den letzten drei jahrzehnten zu sehen sind – dort allerdings nicht zum ausstellungsthema «monochrom» – werden in einer vitrine kameras präsentiert, mit denen die mitglieder des fotoklubs früher gearbeitet haben, es sind wunderbare längst vom markt verschwundene namen von früher, die uns dort begegnen: retina, contessa, duoflex, voigtländer clr, ein sixtar belichtungsmesser und eine gelbe schachtel mit einem kodak advantix farbfilm in einer chipzeit, da es schon fotoläden gibt, die keine filme mehr führen. dreissig jahre fotoklub sind halt auch drei jahrzehnte fotogeschichte auf dem weg von der schwarz-weiss-fotografie unter dem zeichen ilford, zur farbfotografie von kodak und fuji, zu den island- und thailand-diapositivabenden von einst zur digitalen chip- und beamerfotografie von heute mit fotoshop am computer und bitschweren bilddatenbanken, die weltweit zugänglich und austauschbar sind. peter greber, einer der gründungsväter des fotoklubs, hat in diesen dreissig jahren den weg von der ae1, zur t 70, zur rt, zur eos 50, zur canonet, zur eos 300d und zur nikon p 5000 gemacht. sollten ihnen diese bezeichnungen nichts besagen, macht das nichts, sie wollen nur verdeutlichen, dass es bei den kameras denselben zugzwang gibt wie bei computern: immer leichter bei immer schwererem bildergewicht. die kameras von heute sind wahre mobile computer. und es stimmt keineswegs, dass gutes fotografieren heute einfacher geworden ist: immer noch gilt es, eine bildidee zu haben, ein bild zu komponieren, einen bildausschnitt zu definieren, eine belichtung zu bestimmen, den blick für das aussergewöhnliche zu entwickeln.

wer sich den ausstellungsteil im oberen stockwerk anschaut, kann nicht nur die entwicklung im kamerabau der letzten jahre erkennen, wer sich die oben aufgehängten bilder anschaut, sieht den spannenden weg, den die mitglieder des fotoklubs begangen haben: dort sind unter anderen reisebilder aus venedig oder dresden, wochenendbilder aus dem nahen appenzellerland zu sehen, nette amateuraufnahmen, alle richtig belichtet, alle mit der richtigen tiefenschärfe, nicht wenige noch etwas gehemmt und distanziert aufgenommene touristenbilder.

wie anders der blickwinkel hier unten in der ausstellung «monochrom»: hier geht es um eine «andere» art des sehens, um einen anderen blick, um eine einschränkung, die zu einem kreativen blickwinkel führt. fast ausnahmslos handelt es sich hier um nahbilder, um nahaufnahmen, um eine konzentrierte auseinandersetzung mit jeweils einer farbe und mit verschiedenen formen, nicht mehr um ein umherschweifen durch fremde städte und landschaften, sondern um eine gezielte suche, um eine echte auseinandersetzung.

monochrom heisst vorherrschen einer farbe in allen ihren abstufungen und schattierungen von hell bis dunkel. manchmal macht ein kleiner anteil einer anderen farbe das bild erst recht interessant. bewusst wurde im rahmen einer vorvereinbarung zu dieser ausstellung darauf verzichtet, die bilder in einem digitalen bearbeitungsprogramm oder mit farbfiltern zu «monochromisieren“. das bedeutet, dass die fotografin, der fotograf nicht nach gemachter aufnahme am bild manipulieren durfte.

wie kommt es zu einer ausstellung, in der einem thema nachgegangen wird, nicht einem inhaltlichen thema zwar, aber einer art des sehens, der farblichen komposition durch reduktion? die mitglieder des fotoklubs nehmen sich jedes jahr ein thema vor, das sie bildnerisch angehen wollen. gegenlicht heisst zum beispiel das kommende thema, mit dem sie sich jetzt schon befassen. sie legen das thema fest, sie lesen sich in ein thema ein, sie laden eine fachperson ein, die ein referat zum thema hält, dann schwärmen sie aus, manchmal in gruppen, andere male individuell, um das jahresthema im sucher bzw. auf dem chip und im computer zwischen zu lagern. dann kommen sie zusammen, um sich die resultate gegenseitig zu zeigen und über die resultate zu diskutieren.

arbeiten in schwarz-weiss waren diesmal ausgeschlossen. und erlaubt war ein farblicher kontrapunkt, ein kleiner anteil einer anderen farbe im bild. zwischen je 3 und 5 fotografien haben die 24 in dieser schau ausstellenden fotografen eingeliefert. es ist nicht leicht, in einer welt voller farben monochrome bilder zu erstellen. die blaue stunde, jene minuten, in denen die sonne untergeht, könnte monochrome bilder ergeben, die blaue stunde ist in dieser ausstellung aber nicht vertreten, als ob es ein zu leichte aufgabe gewesen wäre. wer monochrome fotos machen will, muss den blickwinkel einschränken, muss sich auf die suche nach ausschnitten machen. farbige reissverschlüsse, einfarbige schnüre und seile, papierfächer, die alle in einer farbe sind, einfarbige gefaltete textile strukturen, die schatten werfen, durchsichtige wassertropfen auf einer tischplatte, die die farbe der tischplatte anzunehmen scheinen, verrostete technik von früher in braun oder gräulichem braun, eine raufaserwand, ein knäuel von einem fischernetz ohne wasserspuren, kein fischerboot im hintergrund, trockene, rissige erde, die vor kurzem überschwemmt gewesen sein muss, grasballen in weisse kunststoffbahnen eingerollt und auf einem schneefeld liegend, knorriges braunes wurzelwerk, ein christliches zeichen an einer wand und ein wort, das zur stille gemahnt auf einer anderen, drei bilder aus ein und derselben wand zu einer neuen komposition zusammengesetzt. alles monochrom gezeigt, eine insgesamt und je für sich alleine «symphonie monochrome». monochrome bilder haben in der regel etwas strenges an sich, sie wirken still. kein einziger mensch ist auf den bildern dieser ausstellung zu sehen, es sei denn das gesäss einer frau, nur ist diese frau eine statue, und in einem anderen bild eine figur hinter einer roten zeltlandschaft, die sich bei näherem hinschauen als eine afrikanische figur oder ist es eine aus neu guinea entpuppt, eine staue wieder.

linien und formen herrschen in vielen aufnahmen dieser ausstellung vor. linien, die holzlatten eines baus zeichnen, backsteinfluchten und treppen in rötlichem braun. höchst kunstvoll auch die beschäftigung mit der natur: grüne stiele in wasser, das ebenfalls grün zu sein scheint. die auslaufende bewegung der wellen an einem meeresstrand, ein bild, das zuerst so wirkt, als sei es – allen gesetzten regeln zum trotz – schwarz auf weiss aufgenommen worden, ein bild, das sich aber bei näherem hinschauen eindeutig als ein monochromes farbbild erweist. noch ein zweites bild ist in dieser ausstellung zu sehen, das – atypisch für die bilder – von einer fernen position, von einer fernperspektive aus aufgenommen wurde: eine felsige berglandschaft, die schroff abfällt und in ein hügeliges land übergeht, nicht ganz so monochrom wie andere bilder hier, ein bild, das zu beweisen scheint, wie schwierig es ist, von der ferne aus monochrome bilder einzufangen.

selten ist ein tupfer einer anderen farbe zu sehen, mehr als ein tupfer war nicht erlaubt: eine bläulich-graue wasseroberfläche, auf der eine flasche schwimmt, deren verschluss einen orangen farbtupfer aufweist. oder im alten eisengrau eines schienenkrans ein roter farbtupfer einer schraube. nicht immer ist auf anhieb klar, ob es das natürliche licht ist, das den monochromen charakter eines bildes ergibt. ein stromverteilkasten in lila, wasserleitungen einer wand entlang in blau eingetaucht und elektrische kabel, die im hellen licht eingetaucht aufgenommen wurden, wirken auf den ersten blick manipuliert aus, lassen an eine bildbearbeitung denken. erst bei genauerem hinschauen wird klar, dass hier in einer südlichen stadt eine wand samt allen leitungen mit einer farbe gespritzt wurde, nicht vom fotografen, sondern von den bewohnern.

jeder blick spart etwas aus, jede fotografie spart aus. die hier gezeigten monochromen bilder sparen aus, um dem thema gerecht zu werden. die reduktion als ein kreativer gewinn, so kann man diesen schritt auch formulieren, der den fotografen dieser ausstellung gelungen ist. «reduce to the maximum» heisst es. die bilder dieser fotografen haben in der reduktion einen zugewinn erfahren. ich wünsche ihnen weitere gewinne im «gegenlicht».