heinrich gartentor / künstler – kulturpolitiker – kunstförderer
kunstpreis der stadt thun, 10.11.2011
«gartentor malt!» so lautete eine einladung zu einer ausstellung. und hinter den beiden worten stand ein ausrufezeichen. «gartentor malt!» auch das noch, dachte ich, als die einladungskarte ankam.
der mann hat schon zwei bücher geschrieben. zwei romane! er ist also bereits autor. und die beiden romane sind nicht etwa bei einem kleinen verlag in einem dorf im appenzellerland publiziert worden sondern beim renommierten passagen verlag in wien.
ich wusste, dass gartentor es mit alteisen treibt, genauer gesagt mit alten, verrosteten autos, die seit mehreren jahrzehnten irgendwo in einem wald vor sich hin dämmern. das konnte man sogar in den feuilletons deutscher zeitungen lesen.
und dann geriet ich vor drei wochen in biel im centre pasquart in eine kunstausstellung mit dem titel «arkhaiologia – archäologie in der zeitgenössischen kunst» und fand mich in einer video- und textinstallation von gartentor. und die texte, die da zu lesen waren, kolumnen aus einer tageszeitung, waren sogar noch politisch. maler ist er seit kurzem, schriftsteller schon bereits seit jahren, altmetallorganisator, ausstellungsmacher, videokünstler, publizist.
dabei ist das bei weitem nicht alles. gartentor betreibt mit seiner frau eine tankstation. nix benzin und dennoch super: wenn man von thun nach langnau im emmental mit dem gemieteten elektrorad nach vielen steigungen in einem kleinen weiler namens horrenbach ankommt, kann man auf dem pausenplatz eines ehemaligen schulhauses den akku des elektrorads wechseln, bergkäse essen und most trinken und gartentor antreffen, der vor dem haus sitzt, in dem er wohnt und eben auch noch malt.
natürlich sitzt er dort an einem computer. gartentor gehört zu den allerersten künstlern der schweiz mit einer homepage. und attraktiv ist sie auch noch. schon erstaunlich dieser mann.
eine halbe stunde autofahrt über schmale strassen von thun aus in die höhe auf einer strasse, die manchmal so schmal ist, dass man – sofern man gläubig ist – himmelwärts schaut und hofft, es möge bitte kein auto einem entgegenkommen. dort wohnt gartentor mit frau christine und den zwei kindern ida und emil.
gartentor überrascht. immer wieder. als die schweizer kunstschaffenden ihn vor einigen jahren als ihren ersten «kulturminister» wählten, da machte er sich mit der bahn an die frankfurter buchmesse auf, um dort vor autoren eine ansprache zu halten.
«künstlerpech» ist man gewillt zu sagen: als der ice in frankfurt einfuhr, war der mann so müde, dass er erst kurz nach frankfurt wieder wach wurde. und dennoch kam er pünktlich zu seiner ansprache in der messe an, obschon der zug mit 140 sachen in der stunde bereits weiter gen osten raste. dass er trotzdem pünktlich in frankfurt ankommen konnte, hatte einerseits mit der obrigkeitstreue deutscher bahnbeamter zu tun. aber nicht weniger mit dem witz und mit dem ideenreichtum dieses mannes mit dem seltsamen namen heinrich gartentor: als gartentor dem bahnschaffner der deutschen bahn seine visitenkarte entgegenstreckte, auf der «kulturminister der schweiz» zu lesen stand, da liess der schaffner den zug ausser fahrplan am nächsten bahnhof anhalten, damit „der herr kulturminister“ rechtzeitig seine rede in frankfurt halten konnte.
minister ist er also auch noch. um präzis zu sein: minister a.d., ausser dienst. drei kulturminister gab es bis jetzt in der schweiz, kulturminister, die von den künstlern dieses landes gewählt wurden. und einzig der name gartentor ist haften geblieben. einzig er hat dem amt ein starkes gepräge gegeben. gartentor hat wie kaum ein anderer künstler in diesem land reden gehalten. reden, die manchmal kampfeslustig waren, innovativ inhalte haben, hartnäckig ist er und witzig in seinen reden. er hat ausstellungen eröffnet, erst-augustansprachen gehalten, tagungsteilnehmer begrüsst, politische gremien angesprochen.
gartentor ist eine besondere erscheinung. er und seine frau christine sind selbstversorger mit eigenem garten auf dem land. wer ihn in horrenbach in seinem dortigen atelier im ehemaligen schulhaus besucht, sieht eine wunderbare bergkulisse vor sich. gartentor liebt die natur, er liebt landschaft. und gartentor malt. er malt, was er von seinem haus aus sieht. und er hat alle seine gemalten bilder, die er in der stadt in einer ausstellung hat zeigen könne, auch verkauft. alles verkauft!
gartentor ist aber nicht nur der landmensch, der von sich sagt, auf dem land könne er ungestörter, konzentrierter arbeiten. jeden monat leitet gartentor in der grössten stadt der schweiz sitzungen, an denen visuelle künstler teilnehmen. und er leitet sie straff und effizient. ich habe das erlebt, es stimmt. wenn gartentor sagt, eine sitzung von visarte, dem 3000 mitglieder zählenden dachverband visueller künstler der schweiz, den er präsidiert, dauere bis 16 uhr, dann ist die traktandenliste punkt 16 uhr auch wirklich abgetragen. immerhin, der mann muss zurück ins dorf nach horrenbach, er muss den zug erwischen , dann das postauto, das ihn den berg hinauf bringt, dann besteigt er das elektrorad, fährt weiter bergan und ist rechtzeitig zu hause, so rechtzeitig, dass er seinen beiden kindern eine gutenachtgeschichte erzählen kann, nachdem er sich am nachmittag in zürich mit statutenrevision, leitbild, organigrammen, kommunikationskonzepten, jahresrechnung und budget befasst hat. gartentor und seine frau christine leben eine wunderbare beziehung. er seber sagt es unumwunden und fügt an, dass seine frau ihm ermögliche, zeit und raum für alle seine aktivitäten zu finden.
ja, gartentor ist nicht nur künstler und präsident einer grossen und wichtigen künstlervereinigung. er ist auch ein familienmensch. wenn er in seinem atelier im ehemaligen dorfschulhaus arbeitet, dann sitzen seine kinder ida und emil im selben raum und malen oder spielen, wenn sie nicht gerade im kindergarten sind.
gartentor ist vielfältig. und er überrascht immer wieder. als er zum ersten mal gemalte bilder ausstellte, da musste jeder bildkäufer einen vertrag unterschreiben, den es so zuvor in der schweizer kunstszene nicht gegeben hat: sie wissen ja, wenn ein maler erfolg hat, mutieren seine werke von einem kunstwerk zu einer kapitalanlage. würde der seinerzeit mausarme vincent van gogh heute und hier den saal betreten und erfahren, dass jedes seiner bilder millionenwerte darstellen, er könnte es kaum glauben. es ist nun mal so, dass bilder und plastiken eine wertvermehrung erreichen können. der betreffende künstler hat aber nix davon. gartentor lanciert in der schweiz ein neues modell, wonach bei jedem weiterverkauf eines kunstobjektes der künstler einen angemessenen finanziellen anteil an der wertvermehrung erstattet erhält. und was so erfrischend ist, ist gartentors offenheit und ehrlichkeit. die idee dieser verträge lanciert er zwar, aber er gibt unumwunden zu, dass ein vor jahrzehnten verstorbener sekretär der künstlerorganisation, der er heute vorsteht, bereits vor hundert jahren diese idee vertreten hatte. nur hat man vergessen, dass jener c.a. loosli diese forderung seinerzeit erhoben hatte. gartentor, dessen vor-vor-vor-vorgänger bei der visarte der maler ferdinand hodler war, ist – und da unterscheidet er sich von so vielen künstlern – ein sehr politisch denkender mensch.
unkonventionell ist der mann. und er setzt in bewegung. ein alter dampfer auf dem see als vorübergehendes museum für regionale und internationale kunst will raum nutzen für kulturvermittlung. ein «hochhaus» aus holz für vögel, das hundert vogel- und fledermausfamilien platz bietet als beitrag zur landesgartenschau bayern als bestandteil eines skulpturengartens. eine nationale kunstausstellung in einem autofriedhof, die nicht nur kunst zeigte, sondern auch auf natur aufmerksam macht. die züchtung eines letzten gletschers der schweiz im val de travers mit der örtlichen feuerwehr, die auslobung eines gartentor-stipendiums für kunstschaffende der verschiedenen sparten mit der möglichkeit in bern, thun oder heute in horrenbach vorübergehend einen kunstschaffensaufenthalt zu verbringen. dank seiner aufenthalte im ausland, dank seiner aemter als kulturminister und visartepräsident, auch dank seiner kommunikativen begabung, ist gartentor so gut in der kulturlandschaft vernetzt. davon profitieren notabene auch thun und die region rund um thun: gartentor holt kunstschaffende und publizisten hierher. nicht wenige – auch der sprechende – haben diese stadt und ihre qualitäten, diese region und ihre schönheiten dank gartentor kennengelernt.
gartentor ist nicht nur künstler, er ist auch kulturförderer, der immer darauf achtet, anderen jene möglichkeiten zu verschaffen, die auch er als künstler schätzt. nicht wenige renommierte und weniger bekannte künstler aus dem ausland und aus anderen regionen der schweiz hat er nach thun gebracht, ihnen hier die möglichkeit verschafft, hier ungestört eine zeitlang zu arbeiten und ihre werke zu zeigen.
und unkonventionell ist er auch, wenn es ans umsetzen geht: es gibt einen satz von ihm, der lautet «das schaffe mer». als er daran ging, auf dem gelände des ehemaligen autofriedhofs eine kunstausstellung zu realisieren und das geld fehlte, da setzte er die summe des kantonalen kunstpreises, den er erhalten hatte, ein. kunst muss nicht unbedingt nur in den grossen städten gedeihen. kunst kann auch in mittelgrossen und kleineren städten entstehen. ideen können auch auf dem land wachsen. gartentor, der als wandernder musiker- und theatermann mit einem radanhänger durch europa getingelt und auf strassen und plätzen vor publikum gewirkt hat, hat auf spitzbergen monate verbracht und gearbeitet, er hat in paris und düsseldorf den anschluss an grosse künstler gefunden. er ist der mann, der peripherie und zentrum einander näherbringt, der beweist, dass das zentrum dort ist, wo man kreativ ist.
gartentor steht zu seinen ideen und ansichten, die nicht immer jedem passen. man kann sie in seinen reden verfolgen, man kann sie in der regionalzeitung lesen. und dennoch ist dieser mann, der sich pointiert ausdrücken kann, ein gesprächspartner, der den dialog mit menschen führt, die sehr konträre ansichten pflegen.
thun ehrt heute einen aussergewöhnlichen mann. thun ehrt einen künstler, einen politisch wachen und engagierten künstler, der sich in mehreren kunstsparten bewegt, der vieles in gang setzt, der sich selbstlos für andere einsetzt. einen mann mit witz, der zwischen dem land und der stadt bewegt. martin tinu lüthi heinrich gartentor herzlich gratuliert!
michael guggenheimer, 10. november 2011